Der Zollbeamte in Quaraí nimmt es ganz genau. Ob das mein Kind sei? Ja, sieht man das nicht? Keine Antwort. Wir verbringen die erste Stunde in Brasilien bei den netten Zollbeamten, die mir mitteilen, daß bei der letzten Ausreise aus Brasilien zwar ich im Computersystem registriert worden sei, nicht aber mein Sohn. Da es in Brasilien viele Kindesentführungen gebe, nähmen sie es besonders genau - was natürlich auch in meinem Interesse ist. Wir tanken voll auf brasilianischer Seite und fahren entlang der kilometerlangen Weidegebiete in Richtung Alegrete.
Die großen landwirtschaftlichen Anwesen oder "Fincas" haben immer einen künstlich angelegten See, der als Viehtränke für die Kühe und Pferde und Löschwassersee genutzt wird.
Wir besuchen unsere Freunde in Santiago, dem Ort, den wir nie kennengelernt hätten, wenn ich im Jahr davor nicht an der Kreisverkehr-Kreuzung einem Gaucho im Ford Fiesta die Vorfahrt genommen hätte. Er kam an einem verregneten Morgen von rechts aus dem toten Winkel. Wir hatten gerade gemütlich an unserem Yerba-Mate-Röhrle gezogen und sind über die Kreuzung gezuckelt, als die Fahrt mit einem lauten Schlag auf die rechte Vorderachse, der uns nach links auf die Verkehrsinsel schleuderte, abrupt ihr Ende nahm. Unser Seat Inca sollte in Santiago in den "ewigen Jagdgründen" bleiben. Wir lernten mit dem Ortspolizisten das Hospital mit Personal kennen und durften dann, Gott seis gedankt, wieder ins Hotel Villa Rica gebracht werden, das wir von der letzten Nacht kannten.
Daß die Brasilianer Fußball lieben, weiß jeder. Wenn aber am Tag nach einem starken Aufprall eine Stunde lang die Autos hupend im Korso um die Plaza fahren, daß die Hotelscheiben klirren, hält die Mitfreude maximal fünf Minuten an.
Kurzum: Wir haben mit dem "Silberpfeil" unseren "Inci", die Krankenhausbesatzung und unsere Freunde im uns lieb gewordenen Santiago besucht. Diese unglaubliche Hilfsbereitschaft und das fröhliche Miteinander, die geordneten Vorgärten, das respektvolle Miteinander und die Tatsache, daß das Autohaus inzwischen mitsamt der Seat-Inca-Ruine umgezogen ist und nichts davon gewinnbringend verkauft hat, beeindrucken mich nachhaltig. Die Autohausbesitzerin stammt von deutschen Einwanderern ab, spricht selbst aber kein Deutsch mehr und möchte gerne die Heimat der Vorfahren kennenlernen. Es ist, als ob sich das Heimweh schon seit 6 Generationen weitervererbt hat. Für sie war es ganz klar, daß wir als Landsmänninen zusammenhalten und sie uns helfen müsse. Diese ist eine der vielen Einwanderer-Begegnungen, die ich in meinen 24 Jahren Südamerika erlebe, die mir sehr zu Herzen geht und darin bestärkt, daß wir in unserer Erziehung viel Gutes und Überlebenswichtiges mit auf unseren Weg bekommen - wohin auch immer er uns führt.
In der Zwischenzeit habe ich den Film "Neue Heimat" gesehen, in der die Geschichte ihrer Vorfahren und weiterer Familien verfilmt wurde.
Zum Dank übergebe ich Mitbringsel aus Deutschland, zu denen Obstwasser vom Bodensee und ein Eierlikör-Kirsch aus dem Schwarzwald gehören. Im Bogen fahren wir nun entlang der riesigen Ländereien zum Grenzfluß mit Argentinien, dem Río Uruguay nach Sao Borja und weitere 180km flußabwärts bis Uruguaiana.